Rede

Haushaltsrede 2022, Dr. Axel Flasbarth

Dr. Axel Flasbarth, stellv. Fraktionsvorsitzender und finanzpolitischer Sprecher:

“In diesem Haushalt steckt viel Gutes und vieles, über das auch wir Grünen uns freuen. Uns gefällt der Umbau des ehemaligen Karstadt-Gebäudes, oben Schulräume, unten einen Public Space, ein Wohnzimmer für Lübeck. Und uns gefällt noch vieles andere. Aber es gibt leider noch mehr, das uns nicht gefällt. Vor allem betrifft das Maßnahmen, die nicht im Haushalt vorhanden sind. Aus unserer Sicht ist dieser Haushalt vor allem ein Haushalt der falschen Prioritäten, der verlorenen Zeit und der verpassten Chancen. Und das würde ich gerne an vier Beispielen erläutern.

1) Der offensichtlichste Punkt ist Klimaschutz. Wir haben als Bürgerschaft vor 3,5 Jahren den Klimanotstand beschlossen. Das ist jetzt der 4. Haushalt, den wir seitdem beschließen. Der 4. Haushalt ohne ausreichenden Klimaschutz. Der 4. Haushalt ohne einen Klimaschutz, der auch nur annähernd ausreichen würde, um die Klimaziele zu erreichen, die wir uns als Bürgerschaft für Lübeck gesetzt haben. Und auch zum 4. Haushalt seit Ausrufung des Klimanotstandes gibt es immer noch keinen Masterplan Klimaschutz, der aufzeigt, was notwendig ist, um unsere eigenen Klimaziele zu erreichen und welche Maßnahmen dafür notwendig sind. Dass die Verwaltung in 3,5 Jahren nicht in der Lage ist, einen Klimaplan vorzulegen, ist aus unserer Sicht enttäuschend. Ärgerlich ist, dass wir selbst dort in diesem Haushalt nicht das Mögliche gemacht haben, wo wir keinen Masterplan benötigen, um anfangen zu können. Es gibt zentrale Hebel des Klimaschutzes, die wir als Kommune selbst kontrollieren können. Klimaneutrale Sanierung unserer Gebäude, die Umstellung der Stadtwerke auf regenerative Wärme- und Stromversorgung, die Organisation unseres Verkehrs. Aber in keinem dieser Bereiche ist in diesem Haushalt das für unsere Klimaziele Notwendige enthalten. Bei weitem nicht und auch das ist sehr enttäuschend.
Und das obwohl wir als Bürgerschaft hier geliefert haben. Wir haben den Klimanotstand beschlossen. Wir haben ambitionierte Klimaziele beschlossen, und wir haben schon im vorletzten Haushalt Geld zur Verfügung gestellt, um den Klimamasterplan zu erstellen. Dass diese Beschlüsse in diesem Haushalt nicht mal annähernd umgesetzt worden sind, ist in unseren Augen ein Zeichen verfehlter Prioritäten und ein kolossales Verwaltungs- und Führungsversagen, vor allem des Bürgermeisters.

2) Zweites Beispiel ist die Kinderbetreuung. Kinderbetreuung ist für uns eine zentrale kommunale sozial- und bildungspolitische Aufgabe. Dass Kinderbetreuung in Lübeck unterfinanziert ist, muss ich nicht mehr extra ausführen. Das Land hat seine Finanzierung durch die Kita-Reform deutlich aufgestockt, wir wünschen uns hier auch von der Stadt deutlich mehr. Der Vorschlag des Bürgermeisters, ausgerechnet in diesem Bereich zu kürzen und die Essenszuschüsse für die Kinder in den städtischen Kitas zu streichen, ist aus unserer Sicht der völlig falsche Weg. Wir wünschen uns eine höhere Finanzierung der Kinderbetreuung, vom Land und von der Stadt.

3) Der dritte Punkt ist Gleichstellung. Wir haben vor 10 (!) Jahren beschlossen, Gender Budgeting für den Haushalt einzuführen, um die für gleichstellungspolitische Entscheidungen notwendige Faktenbasis und Transparenz zu schaffen. Seit 10 Jahren und bis heute ist davon im Haushalt nichts umgesetzt. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

4) Und schließlich Fahrradinfrastruktur. Der Neu- und Ausbau der Fahrradinfrastruktur wird aktuell vom Land mit 85% gefördert, wenn wir uns dabei an moderne Standards halten. 85%. Im aktuellen Haushalt ist trotzdem nur ein einziger Radweg enthalten, der im kommenden Jahr derart gefördert gebaut wird: Ein Radweg von Travemünde nach Warnsdorf für Baukosten von 800.000 €. Ein gutes Projekt, aber nicht annähernd ausreichend für eine Verkehrswende in Lübeck. Im laufenden Jahr bauen wir übrigens keinen einzigen Meter solcher Fahrradwege neu oder um. Auch in diesem Bereich ist im Haushalt deutlich mehr nötig. Der seit Jahren anhaltende Stillstand beim Ausbau der Fahrradinfrastruktur muss beendet werden. Woher kommen die finanziellen Mittel für unsere zusätzlichen Investitionen und Finanzierungswünsche? Der Bürgermeister hat ausgeführt, dass der Haushalt in diesem Jahr schon in der Planung eine schwarze Null ausweist. Wir haben in den letzten drei Jahren gesehen, dass die Jahresabschlüsse stets 50 bis 70 Millionen Euro besser ausgefallen sind, als ursprünglich geplant. In den Jahren davor auch mal bis zu 130 Millionen besser. Entsprechend ist bei einer Planung mit einer schwarzen Null in diesem Jahr mit einem tatsächlichen Überschuss von 50 bis 70 Millionen zu rechnen. Und wir finden es sinnvoll, zumindest einen Teil dieser Überschüsse für die zentralen, unterfinanzierten Bereiche zu verwenden. Wir fordern damit NICHT, dass wir neue Schulden machen möchten und wir fordern auch NICHT, dass wir die Tilgung unserer Schulden stoppen wollen. Wir sagen, dass Lübecks Schulden inzwischen so gering sind und so weit getilgt worden sind, dass wir die zukünftige Tilgung strecken können und einen Teil der absehbaren Überschüsse für die erwähnten, dringend benötigten Zwecke investieren können und sollen. Und entsprechend haben wir unseren Änderungsantrag für diesen Haushalt formuliert. Das sind unsere Vorstellungen einer maßvollen, nachhaltigen und an den Herausforderungen Lübecks orientierten Finanzpolitik. Der hier vorgelegte Haushaltsentwurf des Bürgermeisters ist es leider nicht. Vielen Dank.”